Verfolgt man etwas aufmerksam die jüngste KI-Debatte (z.B. ORF-Artikel erschienen am 11.05.2023 auf ORF.ON) samt der dabei replizierten Studien, dann kann durchaus der Trugschluss entstehen die "Lösung" der KI-Problematik bestünde u.a. in der vermehrten Zuwendung bestimmter Berufe und Funktionen. Getreu dem Motto: "Flüchte sich wer kann" - werden vermeintliche Lösungsstrategien präsentiert, die nicht nur planlos wirken, sondern auch von einer fast schon lieblichen Naivität nur so strotzen. So wird etwa angedacht Programmieren als verpflichtenden Gegenstand in Schulen einzuführen. Eine Tätigkeit, sieht man von begnadeten Spitzen-Programmierern einmal ab, die durch KI quasi bereits obsolet geworden ist.
Aber noch mehr: Wir greifen, nicht ganz unverständlich, auf altbewährte menschliche Tätigkeiten und Lösungsmuster (z.B. in Form von Berufen) zurück. So suggeriert der Artikel, dass die Zukunft im Handwerk und in sozialen Berufen liegen würde. Nun habe ich nichts gegen das Handwerk und natürlich auch nichts gegen soziale Berufe - warum auch? Die im Zuge der KI-Entwicklung entstandene existenzielle menschliche Bedrohung, ja sogar Existenzfrage, werden wir aber ganz sicher nicht befriedigend auflösen, in dem wir mehr Handwerker oder Sozialarbeiter ausbilden. Ganz abgesehen davon, dass auch diese Tätigkeiten etwas nachgelagert durch KI und Automatisierung (teilweise) ersetzt werden, entspricht dieser vermeintlich gut gemeinte Ratschlag einer durchaus grotesken Überlegung, der die Ratio zu Grunde liegt, dass wir uns als Menschen auf unsere Körperkraft (handwerkliches Geschick) und unsere Empathie zurückziehen sollten, sind wir doch mit unserer Intelligenz und damit der Kopfarbeit den Maschinen nicht mehr länger gewachsen, vielleicht sogar gescheitert. Es ist nur verständlich, dass damit bereits ein interessanter Diskurs in Gang getreten wurde, an welchen Stellen wir Menschen noch über originäre Fähigkeiten verfügen, die die Maschinen (noch) nicht im Stande sind zu leisten. Diese Flucht in vermeintlich kongenitales humanes Hoheitsgewässer ist aber nicht nur naiv, sondern vor allem auch höchst gefährlich, lassen wir doch gerade so die KI-Entwicklung unreflektiert weiter laufen.
Die Flucht, oder das Wegducken kann demnach keine Lösung sein. Ich fordere an dieser Stelle vielmehr eine breite KI-BILDUNGS- und nicht Ausbildungsinitiative an Schulen, Universitäten und der Erwachsenenbildung ein, bei der es eben nicht darum geht n+1 besser als die Maschine zu sein, sondern eine breite epistemologische, interdisziplinäre und vor allem reflexive Auseinandersetzung mit der KI-Problematik geführt wird. Es braucht also nicht weniger, sondern mehr menschliche Intelligenz und damit letztendlich (Hochschul-) Bildung, um eine vernünftige und verantwortungsvolle Co-Evolution zwischen Mensch und Maschine sicher zu stellen.
Sehen wir es doch als Chance: Die KI zwingt uns endlich zu einer elementaren Grundsatzdebatte, die wir gekonnt jahrhundertelang weitestgehend verdrängt haben:
Wer sind wir? Was zeichnet uns als Mensch(heit) wirklich aus?
Zum Autor:
Sebastian Naderer ist Founder der datrion GmbH und forscht interdisziplinär auf den Themengebieten der Künstlichen Intelligenz sowie an Mensch-Maschine Schnittstellen und hat zahlreiche Publikationen im Kontext von Computational Social Science veröffentlicht. Im Rahmen seiner Dissertation ist es Naderer gelungen Millionen von Suchtermen entlang unterschiedlichster Lebenswelten (z.B. Arbeit, Finanzen, Ernährung, Fitness etc.) nachweislich miteinander zu relationieren und so ein ganzheitliches Datenmodell und damit interagierende Anwendungen zu erstellen.
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